Was bedeutet „Gemeinsames Lernen“?
Der Begriff „Gemeinsames Lernen“ bezeichnet, dass Schüler*innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsam in einer Klasse lernen. Das klingt wie ein Merkmal, das eine Schule hat oder nicht. Es ist aber sinnvoll, Gemeinsames Lernen nicht als Zustand, sondern als Prozess zu betrachten, in dem sich eine Schule ständig weiterentwickelt. In diesem Prozess kommt es besonders auf folgende Herausforderungen an:
- Gemeinsames Lernen soll kein Mosaikstück unter vielen im Bild einer Schule sein, sondern betrifft das gesamte Lehren und Lernen an einer Schule.
- Die Lehrkräfte sollen alle Schüler*innen als eigenständige Individuen im Blick haben und diese Haltung zur Grundlage ihres Unterrichtens machen.
- Unterrichten ist nichts für Einzelkämpfer, sondern soll Teamarbeit sein, nicht nur in der Planung, sondern auch in Durchführung und Reflexion.
Warum Gemeinsames Lernen am Gymnasium?
Die Vereinten Nationen sind 2006 übereingekommen, dass die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen (wie es damals hieß), besonders gefördert und geschützt werden sollen (UN-Behindertenrechtskonvention). Dieser internationale Vertrag wurde von der Bundesrepublik Deutschland 2009 ratifiziert. In NRW ging 2014 daraus das sogenannte 9. Schulrechtsänderungsgesetz hervor. Darin heißt es „Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sollen in das allgemeine Bildungssystem einbezogen und das gemeinsame zielgleiche und zieldifferente Lernen (s.u.) von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderung in der allgemeinen Schule ermöglicht werden.“
Das bedeutet, dass Eltern für ihre Kinder nun einen Rechtsanspruch auf Gemeinsames Lernen an einer Regelschule haben. Der Schulträger, d.h. die Stadt Minden hat u.a. festgelegt, dass das Besselgymnasium zum Schuljahr 2014/2015 als erstes Gymnasium in Minden „Schule des Gemeinsamen Lernens“ wird. Glücklicherweise konnte damals ein erster Sonderpädagoge als festes Kollegiumsmitglied zur Begleitung dieser Neuausrichtung des Besselgymnasiums eingestellt werden.
So groß diese Herausforderungen auch sind, es hat sich seitdem herausgestellt, dass nicht nur Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf davon profitieren, dass es die Wahl zwischen Förderschule und Schule des Gemeinsame Lernens gibt. Auch Schüler*innen ohne Förderschwerpunkt kommt ein individualisierender Unterricht in einer inklusiven Lerngruppe zugute.
Wie funktioniert Gemeinsames Lernen am Besselgymnasium?
Grundlegend für das Gemeinsame Lernen ist die Unterscheidung zwischen zielgleichem und zieldifferentem Unterrichten. Welche Art von Förderung die Schüler*innen erhalten, hängt von ihrem diagnostizierten Förderschwerpunkt ab. Schüler*innen mit folgenden Förderschwerpunkte werden am Besselgymnasium unterrichtet:
- Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung: zielgleiche Förderung
- Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation: zielgleiche Förderung
- Förderschwerpunkt Lernen: zieldifferente Förderung
- Förderschwerpunkt Sprache: zielgleiche Förderung
- Förderschwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung: zielgleiche Förderung
Bei zielgleicher Förderung haben die Schüler*innen dieselben Bildungsziele wie alle anderen Schüler*innen, werden aber im Unterricht besonders unterstützt. Zieldifferente Förderung meint, dass die Schüler*innen Bildungsziele haben, die ihren individuellen Fähigkeiten entsprechen; sie erhalten auch keine Noten, sondern bekommen Förderpläne und Textzeugnisse. Außerdem streben sie den Schulabschluss im Förderschwerpunkt Lernen nach Klasse 10 an. Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele dieser Schüler*innen im Anschluss ihren Bildungsweg am Berufskolleg oder an einer Realschule fortsetzen.
Wir freuen uns, dass das Besselgymnasium seit der „Neuausrichtung der Inklusion an allgemein-bildenden Schulen“ 2018 eines der wenigen Gymnasien der Region ist, dass noch zieldifferentes Lernen anbietet. Dabei sind folgende Merkmale von besonderer Bedeutung:
- Durch die Einstellung weiterer Sonderpädagogen*innen wird der Prozess des Gemeinsamen Lernens permanent fortgeführt, wobei die Erfahrung gezeigt hat, dass das gesamte Kollegium von deren Expertise profitiert. Partizipation, Kommunikation, Kooperation und Reflexion sind die Grundpfeiler des Gemeinsamen Lernens.
- Die Verschiedenheit aller Schüler*innen steht im Vordergrund und ist die Grundlage dafür, dass durch individuell gestaltete Herausforderungen (Aufgaben, Methoden, Lernziele usw.) eine optimale Förderung in einer gemeinsamen Lerngruppe angestrebt wird (innere Differenzierung).
- Die Klassen des Gemeinsamen Lernens sind kleiner, in der Regel bestehen sie insgesamt aus 24 Schüler*innen.
- Jedes Fach wird in den Klassen des Gemeinsamen Lernens von zwei Lehrkräften unterrichtet. Die zweite Lehrkraft unterstützt gezielt die Schüler*innen mit Förderbedarf. Insgesamt arbeiten die Lehrkräfte aber im Team, so dass alle Schüler*innen von dieser Doppelbesetzung profitieren. Bei Bedarf werden individuelle Lernbegleiter*innen in den pädagogischen Prozess integriert.< /li>
- Auch wenn der Unterricht in gemeinsamen Lerngruppen im Vordergrund steht, so gibt es die Möglichkeit, besondere Lernsituationen in einem Differenzierungsraum zu gestalten (äußere Differenzierung).